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Eine kleine Leseprobe zu dem Krimi: Winter - Fährte, der noch ein Zuhause bei einem Verlag sucht.

 

Ein Labyrinth aus Lügen und Intrigen führt Ella Nordhoff nach Lissabon und schließlich nach London. Offensichtliche Spuren entpuppen sich als Sackgassen, doch das Wort: Aufgeben, gehört nicht zu ihrem Wortschatz. Um die Wahrheit herauszufinden, muss Ella über ihre Grenzen hinausgehen.

Winter – Fährte

 

  1. Cuxhaven, 10. Oktober

Vier verdammt lange Jahre hatte Ella Nordhoff auf einem Schiff der Küstenwache Dienst getan. Nicholas Landen argumentierte in dem damaligen Gespräch zu ihrer zeitlich begrenzten Versetzung, dass sie dringend einen Tapetenwechsel benötigte. Die Seeluft sollte ihr helfen, die Vergangenheit ad acta zu legen, ihr quasi das erlittene Trauma aus den Hirnwindungen pusten. Dass er als ihr Vorgesetzter überhaupt ein Statement für die damals vorliegende Entscheidung abgegeben hatte, musste sie ihm vermutlich hoch anrechnen. Ella fragte sich, wer hier faktisch bestraft wurde, Marcus in seiner modernen Zelle, oder sie auf einem schaukelnden Schiff.

In der ersten Woche hatte sie regelmäßig über der Reling gehangen um die Fische zu füttern, während ihre Kollegen wetteten, wie lange sie schätzungsweise durchhielte und das Weite suchte. Womit sie nicht gerechnet hatten, war ihr Sturkopf. Die Seekrankheit spielte sich in ihrem Kopf ab und Ella war zu stur,  die Kotzanfälle als Vorwand zu sehen, um die sprichwörtlichen Segel zu streichen. Einen Monat später verschwand die Ãœbelkeit, besiegt von Ellas Dickkopf. Seither waren die flapsigen Sprüche bezüglich Landratten verstummt.

 Eine letzte Nacht galt es zu überstehen, dann ginge es endlich wieder nach Frankfurt zurück. Das bedeutete allerdings auch, dass ihr Vater dadurch praktisch in ihre Nachbarschaft rückte, doch Marie lebte immerhin noch in Portugal. Entfernung stand für etwas Erstrebenwertes, das man zu schätzen wusste, wenn man zur Familie Nordhoff gehörte.

Drei Reisetaschen warteten darauf, in den roten BMW verladen zu werden, den sie wie ein Juwel hütete. In diese Gedanken versunken trat Ella an die Haustür, die die letzten 1456 Tage der Eingang zu ihrer Privatsphäre bedeutet hatte, als sie plötzlich eine Berührung an ihrer Schulter spürte. Das Ziehen ihrer Waffe und die Drehung des Körpers, um ihren Gegner entgegenzusehen, geschah nahezu in einer einzigen fließenden Bewegung.

Ein Reflex, geboren aus dem feigen Angriff, der vor vier Jahren beinahe ihr Leben beendete. Über den Lauf ihrer Glock sah Ella in das Gesicht ihrer Schwester, die erschrocken die Augen weit aufgerissenen hatte. Das wirkte wie eine kalte Dusche und regelte den Verteidigungsmodus von Maximum auf Minimum. Ernüchtert ließ sie die Pistole langsam sinken. »Scheiße Ella, willst du mich umbringen?«, keuchte Marie und lösten bei ihrer Schwester ein schlechtes Gewissen aus, dass sie hinter einer abwehrenden Haltung verbarg: »Keine üble Idee, wenn du mir so im Dunkeln auflauerst.«, die Waffe verschwand wieder in ihrem Schulterholster und während sie die Tür aufschloss, knurrte Ella: »Woher weißt du überhaupt, wo du mich findest?«. Sie hatte, seit sie an der Küste lebte, ausschließlich telefonischen Kontakt zu ihrer Verwandtschaft gehalten und wollte keinerlei Besuche, weder von ihrem Vater noch von sonst Jemand.

Bevor Marie über die Türschwelle treten konnte, hielt Ella sie am Arm fest und sah sie auffordernd an und Marie antwortete endlich auf die Frage ihrer Schwester: »GPS.«. »Stalkst du mich etwa?«, es gab lediglich eine Handvoll Leute, die ihre private Handynummer kannten und Marie musste den Dusel gehabt haben, sie zu orten, wenn das Mobiltelefon nach ihrer Schicht aus dem Spind kam und aktiviert wurde. Wunderte sie sich wirklich darüber? Ihre Familie schien es als Sport anzusehen, jede Grenze, die sie je gezogen hatte, nieder zu reißen. »Bleibt mir etwas anderes übrig? Du hast niemanden gesagt, wo du lebst.«, brachte Marie trotzig hervor, bevor sie sich an Ella vorbei schob und die Beleuchtung anschaltete. Das grelle Licht der nackten Glühbirne, offenbarte kahle Wände, leere Regale und die drei Reisetaschen, die mitten im Raum standen. Nichts wies darauf hin, dass es in diesem Zimmer einmal anders ausgesehen haben könnte. Die Souterrainwohnung war einzig dazu gedacht, dass Ella ein Dach über dem Kopf hatte. Ihr selber hätte auch eine Unterkunft in einer Pension gereicht, doch Nicholas bestand damals darauf, dass sie wenigstens eine kleine Einraumwohnung bezog.

»Toller Einrichtungsstil.«, bemerkte Marie, die an Luxus gewöhnt, kein Verständnis für den minimalistischen Stil ihrer Schwester aufbrachte. Neben einem alten Holzstuhl gab es noch ein Schlafsofa, welches Marie argwöhnisch beäugte. Der Stuhl schied aus den für sie offensichtlichen Gründen aus, er sah alt und wackelig aus. Endlich ließ sie sich auf dem zweifelhaften Polster nieder. Die Bemerkung von Marie ignorierend, lehnte Ella an den Rahmen der Tür, die in die winzige Küche des Appartements führte: »Falls du noch nicht im Bilde bist, ich reise morgen ab. Also was willst du?«, fragte sie widerwillig. Wenn Marie bei ihr auftauchte, bedeutete das in der Regel Ärger, den sie ausbügeln musste. »Ich verlasse Miguel.«, platze Marie heraus und fügte kleinlaut hinzu, »Du hattest Recht, weißt du? Ich bin bloß noch das Aushängeschild für ihn.«.

Mit Mühe unterdrückte Ella einen Kommentar, der in etwa ›Habe ich dir gleich gesagt‹ lautete. Die vier Jahre, die ihre Sippschaft auf einem angenehmen Abstand gehalten hatte, waren offensichtlich einen Tag früher als vermutet zu Ende gegangen. Bevor sie überhaupt in Frankfurt angelangte, griffen die Klauen der Familie längst nach ihr und sie spürte bereits erneut den alten Beschützerinstinkt, denn sie beinahe vergessen hatte. Schweigend wartete sie darauf, dass Marie zum Kern des Problems kam. Diese setzte wieder an zu reden: »Wir leben nur noch nebeneinander her und…«, sie schluckte trocken, »Er hat seine wechselnden Geliebten und ich lernte  jemanden kennen.«, eine trotzige Herausforderung lag nun in ihren braunen Augen. Es schien fast so, als wolle sie unterstreichen, dass die Ehe mit Miguel wirklich untragbar geworden wäre.

Diese Eröffnung bedeutete für Ella eben so wenig eine Offenbarung, wie die Körpersprache ihrer Schwester. Letztlich war es eine Frage der Zeit gewesen, bis Marie wach wurde und so neigte sie bloß fragend den Kopf zur Seite, darauf wartend, dass Marie fortfuhr. »Ich glaube, er hat Joe umgebracht.«, platzte diese dann heraus und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Langsam, warum soll Miguel irgendwen umbringen?«, Ella, die kein Fan ihres Schwagers war, glaubte, dass sie sich verhört hatte. »Joe und ich wollten ein gemeinsames Leben anfangen.«, die erste Träne kullerte über Maries Wange, »Letzte Woche haben sie ihn gefunden.«, sie schluchzte auf, »Er trieb im Hafenbecken, sein Gesicht …..«. Der Rest von dem Satz ging in einem Schluchzen unter und ihr Beschützerinstinkt sprang endgültig von Null auf Hundert, geradeso als seien die letzten zwanzig Jahre zurückgedreht worden.

Mit zwei Schritten war Ella bei ihrer Schwester, legte die Arme um Marie und ließ sie an ihrer Schulter weinen, wobei sie ihr tröstend über den Rücken strich. Ihre negative Einstellung gegenüber Miguel zur Seite schiebend, versuchte Ella rational an das Gehörte heranzugehen. Sie traute ihrem Schwager durchaus viel zu und war gegen ihn unter Garantie voreingenommen. Womöglich bestach er ja hin und wieder einige Leute, aber Mord? In keinem Fall, glaubte sie dass er dazu in der Lage sein sollte.

Hätte Miguel allerdings de facto die Finger im Spiel, so bezweifelte Ella, dass er selber die Drecksarbeit übernahm. Eine Ahnung sagte ihr, dass der Inhaber der weltweiten In–und Exportfirma nicht der Urheber des Verbrechens war. Der Tod von diesem Joe, hörte sich für sie wie eine Hinrichtung, an.

Als sich Marie endlich ein wenig beruhigte, fragte Ella: »War Joe in irgendetwas verwickelt? Eine Bande oder etwas anderes in der Art.«. Marie schüttelte heftig den Kopf: »Das kann ich mir nicht vorstellen. Joe hat für den britischen Staat gearbeitet, bei Miguel allerdings, weiß ich nicht mehr, was ich denken soll …«, sie brach ab und ließ den Satz in der Luft hängen. Dass es bei Berufen, die man für jeweilige Staaten ausübte, durchaus auch um ungefährliche Beschäftigungen handeln konnte, war das Eine. Ihr Instinkt sagte Ella jedoch, dass dieser Joe kein Labormitarbeiter oder Schreibtischhengst gewesen war.

»Ich habe durch Zufall ein Gespräch belauscht, in dem es um Medikamentenschmuggel und «, Marie schluckte und ein Zittern lag in ihrer Stimme, als sie weitersprach, »um einen Mord ging!«. »Himmel, Marie, bist du dir da völlig sicher?«, Ella stand auf und machte ein paar Schritte, während ihre Gedanken flogen und sich die Informationen in ihrem Kopf ordneten. Besonders der angebliche Medikamentenschmuggel, stieß ihr sauer auf. M wie Menschenhandel kam ihr spontan in den Sinn, wobei es sich hierbei auch um eine ausgewachsene Paranoia ihrerseits handeln konnte, doch genau unter diesem Code war der illegale Teil der Geschäfte von Marcus gelaufen. Gedanken an den damaligen Fall nahmen vor ihrem inneren Auge Gestalt an.

Sie waren einem Verbrecherring auf der Spur gewesen, der Frauen, mit windigen Versprechungen einfing um sie dann in alle Herrenländer, an den Meistbietenden zu verschachern. Ella schüttelte die Erinnerungen an diese Zeit unwillig ab.

»Ja und weißt du noch etwas?«, Marie wartete, bis sie sich der Aufmerksamkeit von Ella gewiss sein konnte und ließ dann eine zusätzliche Bombe platzen: »Ich besitze einen USB Stick mit Dateien aus Miguels Büro.«, mit zitternden Fingern, zog sie das fragliche Stück aus der Tasche ihrer Strickjacke und reichte ihn an ihre Schwester weiter. Erneut schob sich der Begriff Menschenschmuggel in Ellas Bewusstsein. Sie ermahnte sich stumm die Pferde ruhig zu halten, denn noch hatte sie keine Ahnung, was wirklich passiert war - lediglich dass es einen Toten gegeben hatte. Der sicherste Ort für Marie war bei ihrem Vater in Frankfurt. Danach musste Ella sofort mit Nicholas über die Angelegenheit sprechen, ihm den Speicherstick zu geben und abzuklopfen ob es in Portugal irgendwelche Ermittlungen zu dem Toten gab.

 

Exakt eine Viertelstunde später saßen die beiden Frauen in Ellas Wagen und die Scheinwerfer warfen Lichtkegel durch den Regen, der mittlerweile über der Küste niederging und den Eindruck einer neuzeitlichen Sintflut hervorrief. Die Scheibenwischer rutschten in gleichmäßigen Rhythmus über die Windschutzscheibe, des roten sportlichen BMW Coupés. Gaben für Sekunden genügend Sicht frei, um den Weg problemlos durch die Stadt bis hin zur Autobahn zu lenken. Aus den Augenwinkeln sah Ella, wie Marie nervös ihre Finger knetete, ihre schmalen manikürten Hände wirkten hell und zerbrechlich. Der Motor schnurrte wie eine maschinelle überdimensionale Katze, während sie schweigend durch die Nacht fuhren. Das Geräusch vermittelte Ella eine gewisse Sicherheit, verdeckte ein wenig die Anspannung die sie verspürte. Möglicherweise war sie paranoid, doch sie hatte bereits zu viel im Leben erlebt, um nicht jedem mit viel Geld zu misstrauen, ihrem eigenen Vater eingeschlossen. Ihrer Erfahrung nach verdarb ein fettes Bankkonto oftmals den Charakter und Miguel Alvarez hatte noch nie auf ihrer persönlichen Hitliste der beliebtesten Männer gestanden. Dennoch widerstrebe es Ella, ihrem Schwager einen Mord zu zutrauen. Ein Seitenblick zeigte Ella, dass ihre Schwester angestrengt in das Dunkel starrte, das außerhalb des BMW an ihnen vorüber flog. »Was war Joe denn für ein Mensch?«, versuchte sie, Marie abzulenken und diese begann sofort mit einen melancholischen Gesichtsausdruck zu schwärmen: »Anständig, charmant …«. Das war der Moment, an dem Ella geistig auf Durchzug stellte. Sie verkniff sich den Hinweis, dass Marie die Worte auch gebraucht hatte, als sie damals ihren Ehemann kennengelernt hatte, nur das dabei außerdem die Attribute wie, reich und mächtig gefallen waren.

»Seit wann vermutest du, dass Miguel in dunkle Geschäfte verstrickt ist?«,fragte Ella schließlich als ihre Schwester, nach ihrem Monolog, wieder in Schweigen versunken war. Diesmal fiel die Antwort deutlich knapper aus: »Schon eine ganze Weile.«. War dies eine Vermutung, geboren aus dem, was hinter Marie lag, oder eine Tatsache? »Versuch doch, etwas zu schlafen, du musst erschöpft sein!«, Ella hatte den müden Ton in der vertrauten Stimme genau gehört. Ein paar Stunden Schlaf, auch wenn es nur auf dem Beifahrersitz war, bekämen ihrer Schwester gut. Wie die Ältere zu genau wusste, verschwand dadurch die Einsilbigkeit von Marie, in die sie mittlerweile verfallen war. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, drehte sie die Heizung ein Stück höher und steuerte den Wagen weiter über die A 1, der sie noch einige Kilometer folgen musste.

Als Ella Miguel da erste Mal gesehen hatte, blinkte ihr Mistkerl-Radar wie wild. Dieses Frühwarnsystem funktionierte allerdings immer nur für andere, niemals für sich selber. Bei ihrem Schwager, jedenfalls hatte das Idioten- Radiometer verrückt gespielt wie ein Geigerzähler, mitten im Zentrum von Tschernobyl. Der Gatte ihrer Schwester verfügte neben dem Familienvermögen, über Charme, blendendes Aussehen und ausgezeichnete Manieren. Beinahe wie bei einem guten Angebot, das zu verlockend klang, um wahr zu sein, an irgendeiner Stelle lauerte ein versteckter Haken. Sie warf Marie einen erneuten kurzen Seitenblick zu und verdrängte Miguel, vorerst gedanklich in den Hintergrund, mit ihm würde sie sich später befassen.

In Anbetracht der Ereignisse, erschien Marie sehr tapfer. Warum sie allerdings nicht umgehend in die Heimat gekommen war, darüber konnte Ella nur Vermutungen anstellen und keine davon wollte ihr gefallen. Aller Voraussicht nach steckte mehr hinter dem Bericht, den Marie geliefert hatte, als sie enthüllen konnte oder mochte. Sie würde noch herausfinden was der Grund dafür war – später. So sehr sich Ella bemühte, dieses erschreckende Thema der modernen Sklaverei zu umschiffen, zog es ihre Gedanken, dennoch immer wieder dorthin. Sie selber hatte einige Opfer während ihrer Karriere gesehen und auch kennengelernt. Traumatisiert, ihren Familien entzogen, die Wurzeln gewaltsam gekappt. Viele entwickelten Berührungsängste, trauten sich nicht, den Kontakt zu Angehörigen und Freunden zu suchen, wenn sie es geschafft hatten, dem Elend zu entrinnen.

Um ihre eigenen Überlegungen umzulenken, stellte Ella das Radio an, aus dem gerade die Takte von Rockmusik klangen. Für eine Weile genoss sie die Lieder, die an diesem Abend gespielt wurde, bis die Nachrichten begannen. Entnervt schaltete sie den Sender wieder aus. Musik wollte sie hören und nicht darüber informiert werden, dass die Welt versuchte, sich zu bereichern. Daran scheiterte, nur um sich dem nächsten profitträchtigen Unterfangen zu zuwenden, dafür war Morgen erneut Zeit genug. Mit ihrer rechten Hand angelte Ella in der Ablage nach einem USB Stick, auf dem sie Musik abgespeichert hatte und verband diesen mit der Musikanlage, die sie in den BMW hatte einbauen lassen.

Je mehr sie landeinwärts gefahren waren, desto weniger war der Regen geworden und schließlich lagen die Straßen wieder vollkommen trocken vor ihr. Für eine Weile ließ sie sich von der leisen Musik berieseln, die aus den Lautsprechern drang. Wie es sie nicht anders zu erwarten hatte, schlief Marie tief und fest. Ella legte einen hohen Gang ein, während sie das Gaspedal durchtrat. Um diese Uhrzeit schien kaum jemand unterwegs zu sein. Einige Kilometer fuhr, nein, raste sie ihrem Ziel entgegen. Angetrieben von dem schnellen Rhythmus der Musik, die wenn auch leise das Innere des Wagens durchzog, sie aber dennoch dazu verführte, die hohe Geschwindigkeit bei zu behalten. Ella wollte Marie so rasch wie möglich in der Sicherheit der väterlichen Villa wissen. Selbst wenn die Kleine mit ihrer Vermutung über Miguel Unrecht haben sollte, irgendwer hatte ihren Liebhaber aus dem Weg geräumt. Sie befürchtete, dass ihre Schwester gegebenenfalls dadurch in das Visier der Mörder geraten war und außerdem konnte sich Ella nicht selber um Marie kümmern.

Die Hinweisschilder am Straßenrand schienen nur kurz in den Scheinwerferkegeln aufzublitzen. Schließlich gewann ihre Vernunft die Überhand und kämpfte den Wunsch nieder, in Rekordzeit nach Frankfurt zu gelangen. Sie nahm den Fuß, bei diesem Gedanken, ein wenig vom Gas. Sicher war sicher, auf dieser Strecke gab es zu viele Baustellen, auf die sie achten musste. Die Allegorie zwischen dem Leben an sich, dass auch selten genug störungsfrei verlief, und einer Autobahn gefiel ihr durchaus…

 

2. Frühmorgens 11. Oktober, Frankfurt

Die ersten Streifen der Morgendämmerung überzogen den Horizont, als Ella den Rand ihres Zieles erreichte und den Wagen in die noch stille Großstadt lenkte. Die aufgehende Sonne, färbte den Dunst der Finanzmetropole am Main in eine Abstufung verschiedener Rottöne und erschuf damit den Anschein, als stünde der Himmel in Flammen. Menschenleere Straßen zeugten, davon, dass es noch sehr früh am Tag war, zu spät für die meisten übrig gebliebenen der letzten Nacht.  Für den Großteil der arbeitenden Bevölkerung, wurde es gerade einmal Zeit sich mit dem Gedanken anzufreunden, einen neuen Tag mit dem Brötchenerwerb in Angriff zu nehmen. Natürlich kamen solche Städte niemals zur Ruhe, doch im Vergleich zu der Hektik des Tages, wirkten die Straßenzüge geradezu ausgestorben. Sicher lenkte Ella ihren Wagen in ein Villenviertel von Frankfurt, in dem ihr Vater wie in einer Hochsicherheitsburg residierte. Das Grundstück war umgeben von meterhohen gesicherten Mauern, ausgestattet mit dem neuesten Hightech Alarmsystemen, Bewegungsmeldern, Kameras. Dahinter befanden sich Sicherheitsleute, die jeden kontrollierten, der das Gelände betreten wollte. Scharfe Wachhunde komplettierten die Ausstattung zum Schutz von Peter Nordhoff. Ella hatte die Hunde einmal halb im Scherz als Handgranaten mit Fellbezug betitelt. Dieser ganze Aufwand entsprang keineswegs der Paranoia ihres Vaters. Es hatte schon vor vielen Jahren Entführungsversuche wie Morddrohungen gegeben. Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihres Vaters, ohne sich um die frühe Stunde zu kümmern. Er stand noch vor der Vogelwelt auf, um auch ja jede einzelne Minute des Tages nutzen zu können. »Ella, was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?«, der dunkle Bariton, des Industriellen, klang deutlich durch den Hörer, als er bereits nach dem zweiten Läuten das Gespräch entgegen nahm.

»Marie steckt mal wieder in Schwierigkeiten. Lass das Tor öffnen, dann reden wir persönlich darüber.«, in Ellas Stimme lag ein ungeduldiger Unterton.

 

© 2016 Sam Freythakt

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